Gegengelesen – Ein politischer Bericht

Andreas Iten schildert in seinem Roman «Gegengelesen – Ein politischer Bericht» nicht nur eine klassische journalistische Karriere, die vom kleinen Berichterstatter aus dem Kuppelpalast, über den Posten eines Redaktors bis zum Chefredaktor führt. Vielmehr stellt der Autor den Wandel im Schweizer Journalismus seit den späten 60er Jahren ins Zentrum, der schon immer mit der Politik verbunden war. Verblüffend, wie manches Thema nach wie vor aktuell ist!
Mit viel Sinn für komisch-ironische Elemente erzählt der Autor das Geschehen aus der Sicht seiner Hauptfigur. Er stellt ihr spielerisch verfremdete Figuren an die Seite, die ihn begleiten, an denen er sich schreibend reibt und denen er seine Freundschaft, ja, seine Liebe schenkt.

Gegengelesen – Ein politischer Bericht

Verlag Martin Wallimann, 2006. 214 Seiten, Fr. 35.—. 3-908713-61-7

Einige Anmerkungen des Autors

GEGENGELESEN. Ein politischer Bericht

Einige Anmerkungen des Autors

GEGENGELESEN ist ein politischer Roman, der einerseits den Weg eines Journalisten bis zum Chefredaktor nachzeichnet, andererseits setzt er sich aber auch mit der Politik auseinander. Der Roman bietet keine zeitlich lineare Schilderung politischer Ereignisse, die sich zwischen 1965 und 1995 abgespielt haben. Es sind vielmehr Themen ausgewählt worden, die auch heute noch aktuell sind, wie etwa die Fremdenfeindlichkeit, die Gleichstellung der Frau, ihr Einzug in die Politik und die Wirkung, die Umweltpolitik am Beispiel des Waldsterbens, die Jurafrage, CH-91, die Fichenaffäre usw.
Ein besonders heikles Thema ist der Aufstieg der SVP, ist die Politik Blochers seit der EWR-Abstimmung. Da ich 1999 über eine seiner Albisgüetli-Reden geschrieben und im Essay «Lust an der Politik» über den politischen Stil nachgedacht habe, musste ich die richtige Distanz zu diesem Phänomen finden. Im ersten Entwurf, den ich vor fünf Jahren geschrieben habe, erlangte ich sie noch nicht. In GEGEGELESEN, so scheint mir, habe ich sie gefunden. Der sensationelle Erfolg der SVP steht nicht im Mittelpunkt des Romans. Er ist ein Thema unter anderen. So habe ich mit einem dialektischen Kunstgriff, der sich auf einen Aufsatz von Friedrich Dürrenmatt (Helvetisches Zwischenspiel) stützt, sine ira et studio, die Analyse vorgenommen. Wie Christoph Blocher nun als Bundesrat agiert, bestätigt mich in meiner Meinung.
Die aktuellen Veränderungen in der Medienlandschaft beschäftigen mich auch als Leser. Der tägliche Kampf um genügend Aufmerksamkeit und die ungeheure Beschleunigung der Nachrichtenvermittlung machen es Journalistinnen und Journalisten nicht leicht, das kritische Augenmass zu bewahren und sich von Kolleginnen und Kollegen und deren Meinung unbeeinflusst zu lassen. Mein Protagonist, Paul Jäger, trägt ideale Vorstellungen mit sich herum, wie sie einst Oskar Reck und andere herausragende Persönlichkeiten hatten. Deshalb eskaliert am Schluss des Romans der schon länger schwelende Konflikt mit dem Verleger, mit einem Mann, der nur an die schwarzen Zahlen denkt.

GEGENGELESEN arbeitet mit leichter Verfremdung, von Orten wie auch Personen. Obwohl einige bedeutende Persönlichkeiten (darunter Bundesrätinnen und Bundesräte, die unterdessen nicht mehr im Amt sind) leicht erkannt werden können, etliche ihrer Aussagen authentisch sind, bleibt für mich die Fiktion zentral. Es ist eben ein Roman oder ein politischer Bericht im Sinne von Hans-Dietrich Gelfert: «Der Bericht ist (…) eine vollgültige Erzählform, die der Erzähler für eine bestimmte Erzählabsicht wählen kann» (Universal-Bibliothek. Stuttgart 1993).

Es gibt meines Wissens keinen politischen Roman, der sich mit der Innenpolitik der letzten dreissig Jahren beschäftigt. Wer die Protagonisten aus der Nähe betrachtet, muss zu ihnen sehr oft auf ironische Distanz gehen. Darum wirkt in meinem Bericht vieles ironisch und komisch. Dennoch respektiert mein Buch den Beruf des Politikers und des Journalisten. Wie könnte es anders sein, wenn man sich ein Leben lang mit Politik und Journalismus beschäftigt hat.

8. Februar 2006

Rezensionen:

 

Buchtipp der Buchhandlung «Münstergass»

«Entdecken heisst quer gehen. Sich quer legen, quer denken, jemandem in die Quere kommen: Schlüsselworte eines Journalisten!» schreibt die Hauptfigur Paul Jäger in seinen Notizen. Der Roman beginnt mit seiner Beerdigung. Ein freier Mitarbeiter des Münsterblatts, wo Jäger als Chefredaktor tätig war, meldet sich bei Jägers Freundin. Besichtigt und bearbeitet mit ihr zusammen Jägers Schachteln voller Notizen. Sie finden viele Texte über Tagespolitik und Regierende. Hier zwei Ausschnitte: «Es ist nichts Neues, wenn ein Politiker einen Journalisten für seine Zwecke instrumentalisiert. Die Nähe zur Macht korrumpiert, macht einen käuflich.» «Ein Regierer hat nach gehaltenen Reden jeweils die Frage gestellt: ‘War ich gut?’ Und alle nickten.»

Der Autor schreibt einen Bericht über den Wandel im Schweizer Journalismus seit ungefähr 1968 und dessen Verflechtung mit der Politik. Ein fesselndes Buch: eine gute Geschichte über ein packendes Thema, in einer schönen Sprache geschrieben.

Carmela Augsburger

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Ansicht eines Chefredaktors. Ein Roman von alt Ständerat Iten. Karl Lüönd, NZZ

Ansicht eines Chefredaktors

Ein Roman von alt Ständerat Iten

Das Innenleben eines Chefredaktors, geschildert von einem schriftstellernden ehemaligen Politiker: So etwas hört sich spannend an und ist es auch. Denn Andreas Iten, verdienstvoller Bildungspolitiker und als Präsident des Innerschweizer Schriftstellerverbands selbst eine imposante Backlist an Romanen und Sachbüchern vorweisend, legt in diesen Tagen einen Roman vor. Anhand der fiktiven Lebensgeschichte eines Chefredaktors, der den beziehungsreichen Namen Jäger trägt, misst der branchenkundige Autor den alten Zwiespalt der Journalisten aus: Hammer oder Nagel sein? Beschreiben oder eingreifen?

Schauplatz der weniger durch Action als durch Reflexion bewegenden Geschichte ist eine wirtschaftlich bedrückte Zeitungswerkstatt aus der alten Zeit, als es noch «Redaktion» und nicht «Vorstufe» hiess: ein leicht verjährter Mix aus Kloster und Intellektuellen-Kommune. Da diese imaginäre Redaktion in der Bundesstadt angesiedelt ist, kann Autor Iten im persönlichen Schicksal des Tagebuch führenden, zum Einzelgängertum neigenden Frühwitwers jenen Teil der neueren helvetischen Politik spiegeln, den er als Zuger Ständerat von 1987 bis 1998 selbst erlebt hat: die Entstehung des Kantons Jura, das Waldsterben, der Fichen-Skandal, die Wirren um die Expo.

«Gegengelesen» kommt stellenweise wie ein Schlüsselroman daher, aber die Hauptperson – im Hintergrund glaubt man Züge von Oskar Reck, Rudolf Stickelberger, Jürg Tobler und anderen zu erkennen – ist eher idealtypisch angelegt. Diese Mischung aus schnellem Urteil und Selbstzweifel, aus Story-Instinkt und Versagen, die ewige Flüchtigkeit in Anbetracht der vielen gleichzeitig drängenden Geschäfte, das alles ist gut beobachtet und auf unterhaltende Weise kritisch abgebildet.

Andreas Iten versteht die Journalisten, weil er immer gern in ihrer Nähe war und – zumindest temporär – einer von ihnen ist. So hat er als einer der wenigen bürgerlichen Kultur- und Bildungspolitiker häufig liberale Positionen im Mediendiskurs vertreten und sich als Präsident des Stiftungsrats (1994-2004) bleibende Verdienste um die Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern erworben. Sein Buch erscheint pünktlich zu seinem 70. Geburtstag.

Karl Lüönd, Neue Zürcher Zeitung, 17. Februar 2006

Romanbilanz eines Politikers. Urs Bugmann, NLZ

Romanbilanz eines Politikers

Nicht, was man von einem Insider befürchten könnte, legt Andreas Iten in seinem Roman aus der Politik- und Pressewelt vor: keine Enthüllung, sondern kluge Analyse.

Paul Jäger ist Journalist und geht in der Münsterstadt im Kuppelpalast ein und aus. Er leistet sich in seinen Artikeln eine eigene Meinung, die nicht immer mit der gängigen übereinstimmt. Zu den Politikern, die, wenn sie zuoberst auf der Machtleiter stehen, «Regierer» heissen, pflegt er ein Verhältnis, das aus Respekt wie Distanz genährt ist und in dem er sich bemüht, Unabhängigkeit zu bewahren. Damit bringt er es bis zum Chefredaktor, doch als die Zeiten sich ändern, ein neuer ökonomischer Wind durch die Verlage und Redaktionen bläst, wird er von einem Tag auf den andern entlassen.

Vermessen der Wirklichkeit

Andreas Iten zeichnet Jägers Aufstieg und Fall in seinem neuen Buch nach, dem Roman «Gegengelesen», dessen Untertitel «Ein politischer Bericht» verdeutlicht, dass es nicht nur ums romanhafte Erzählen, sondern auch um ein Vermessen der Wirklichkeit geht.

Es ist eine indirekte Sicht auf diesen politischen Journalisten Paul Jäger, die gleichzeitig grösste Unmittelbarkeit erlaubt. Das Buch setzt ein mit dem Begräbnis Jägers, der in den Bergen zu Tode gestürzt ist. Andreas Iten erzählt, was Paul Jäger erlebt, und er schickt den Journalistikstudenten Lukas Baumann zu Jägers hinterbliebener Lebensgefährtin Beatrice Kaiser. Baumann will seine Facharbeit über den Wandel der politischen Presse schreiben und nimmt sich Paul Jäger als Exempel. Er erfährt in den privaten Papieren und den Erzählungen der Lebensgefährtin aber auch ganz persönliche Dinge über Jägers Lieben und Leben.

Zeitgeschichtliche Wegmarken

Die Abstimmung über das Frauenstimmrecht, die Kampagne von Schwarzenbach (im Roman «de Noiret») gegen die Ausländer, die Auseinandersetzungen um die 700-Jahr-Feier der Schweiz mit ihren innerschweizerischen Turbulenzen, die Mirage-Affäre, das Waldsterben und die Abstimmung über einen EWR-Beitritt sind die Wegmarken ­ Jäger hat den Jahrgang 1940 ­, die dem jungen Forscher ein Bild nicht nur der Zeitgeschichte, sondern auch der Haltung des Journalisten und Chefredaktors Jäger vermitteln.

Andreas Iten erweist sich in den Passagen über diese tatsächlichen Ereignisse als ein intimer Kenner verborgener Zusammenhänge ­ und als ein kluger Analytiker der Machtverhältnisse und -spiele. Er macht dabei von seinem Insiderwissen nicht auf jene enthüllende Weise Gebrauch, die man von jemandem befürchten könnte, der da und dort noch eine Rechnung offen stehen hätte: Offensichtlich blickt Andreas Iten auf seine Zeit als aktiver Politiker (vor allem im Ständerat) ohne Ressentiments zurück. Das bringt den Leser in den Vorzug einer unaufgeregten Zeugenschaft aus erster Hand.

Kein Schlüsselroman

Natürlich ertappt sich der Leser hier und dort beim Vermuten und Enträtseln, denkt er sich beim Namen Damian Stoffel den Geschlechtsnamen als verkürzten Vornamen und sieht im Regierer Haltinger den Bundesrat aus dem Stumpenland. Trotzdem ist dieses Buch kein Schlüsselroman. Zwar ist es Andreas Iten ernst mit der literarischen Form, aber es geht ihm nicht ums Enthüllen, sondern um eine ungetrübte Sicht auf die Mechanismen von Markt und Macht.

Die Figuren sind auch da, wo die Frage nach ihren wirklichen Vorbildern ins Leere läuft, erkennbar keine Konstrukte, sondern psychologisch stimmig und lebensnah gezeichnet. Da und dort, etwa wenn er das Lob des alten guten Liberalismus singt, gibt die edle Absicht Andreas Itens Feder vielleicht allzu viel Schwung ­ es sei ihm nachgesehen, da er einen durchaus nicht langweiligen, für den wachen Zeitgenossen, die interessierte Bürgerin aber höchst aufschlussreichen Romanbericht aus der Welt der Macht und ihren Ausformungen in Politik und Presse geschrieben hat.

Urs Bugmann, Neue Luzerner Zeitung, 24.02.2006