Lebensacker

»Psycho-archäologische Geschichten«

Buch Andreas Iten: Maria schrieb einen Brief
1. Auflage € 18.00, CHF 21.00
Format: Taschenbuch (11.5x18cm) mit Softcover
Jetzt bestellen bei Bucher Verlag, Hohenems
ISBN: 978-3-99018-730-2

Folgender Inhalt erwartet Sie:

 

Der bekannte und vielseitige Autor überrascht mit einer Psychologie und Pädagogik in Geschichten. Er schildert, was sein Held, der Bub, in der Kindheit erlebt hat und betrachtet dies aus der Sicht des alten Mannes. Der Bub hat Erfahrungen gemacht, die sein Leben begleiteten. Er erhielt Ratschläge, die zu gültigen Sinnsprüchen für sein Leben wurden und im Alter noch gelten. Ein bereicherndes Buch, das aufzeigt, wie Eltern die Kinder zwischen Freiheit und Grenzen ins Erwachsenenleben führen.

    Rezension

    In Geschichten verstrickt – Rezension Stephan Wehowsky

    erschienen am 26. März 2025 auf journal21.ch

    In seinem neuesten Buch erzählt Andreas Iten Episoden aus seiner Kindheit, um sich darüber klar zu werden, wie diese sein Leben geprägt haben. Dank seiner erzählerischen Kunst gelingt es ihm, die Leser in seine Geschichten so einzuspinnen, dass sie ihm nur zu gerne folgen. Andreas Iten ist auf einem Bauernhof bei Unterägeri aufgewachsen. Seine Kindheit wurde durch das Leben auf dem Hof bestimmt. Seine Schilderungen lassen die damalige Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs mit ihren aus heutiger Sicht idyllischen Seiten, aber auch mit ihren Härten lebendig werden.

    Das Zentrum des Bauernhauses war die Wohnküche. Hier versammelte sich nicht nur die Familie. Hier sassen hin und wieder auch diejenigen, die wie «der Melker» auf dem Hof arbeiteten, und es kamen Nachbarn und andere Bekannte und Freunde. Besonders lebhaft ging es bei Festen zu, etwa der «Metzgete». Da labten sich alle an den Blutwürsten eines frisch geschlachteten Schweines.

    Das Beziehungsgeflecht

    Vielleicht hat die Erinnerung an die Wohnküche Andreas Iten zu dem Kunstgriff gebracht, in jedem Kapitel einzelne Personen in den Mittelpunkt zu stellen. Er erzählt von ihren Tätigkeiten, ihren Eigenheiten und bisweilen skurrilen Seiten. Und in fast allen Kapiteln treten seine Eltern auf. In diesem Beziehungsgeflecht erlebte er seine Kindheit und erfuhr Prägungen für sein ganzes Leben.  Deswegen hat Andres Iten den Untertitel «Psycho-archäologische» Geschichten gewählt.

    Dieses Leben hatte auch sehr dunkle Seiten. Einmal schildert Andreas Iten den Judenhass, von dem er als Kind völlig überrascht wurde und der ihm eine Seite von seinem Vater zeigte, die er lieber nicht gesehen hätte. Oder er schildert, wie die Katholiken jeweils am Karfreitag, der für die Protestanten im Gegensatz zu den Katholiken ein hoher Feiertag war, die Protestanten provozierten.

    Heimweh

    Eines Tages kamen Gäste aus Basel. Daraus ergab sich die Idee, dass Andreas Iten dort doch einige Zeit verbringen könnte. Aber schon am ersten Tag plagte ihn derartig heftiges Heimweh, dass sein Aufenthalt ein äusserst schnelles Ende fand. Daraus lernte er, wie stark er in seinem Elternhaus und seiner Umgebung verwurzelt war. Wie sehr, fragt er in der Betrachtung zu diesem Erlebnis, müssen Kinder von Vertriebenen heute leiden?

    Aber er stellte auch fest, dass er nicht zu einem Bauern geschaffen war. Sein Vater tadelte ihn einmal heftig, als er auf dem Feld grundlegende Fehler machte. Er sei ein Träumer. Entscheidend wurden dann mehr oder weniger zufällige Bemerkungen aus der Nachbarschaft, dass er der geborene Lehrer sei oder dass er eines Tages in einem politischen Amt eine Rede zum 1. August halten werde. Damit sei sein «Logos» getroffen worden, und danach habe sich sein ganzes Leben ausgerichtet. So unterrichtete er am Lehrerinnenseminar Bernarda in Menzingen Pädagogik und Psychologie. Und sein politischer Weg führte ihn über mehrere Stationen bis in den Ständerat. Dazu kamen zahlreiche Ämter und Ehrenämter.

    Verletzlichkeit 

    Aber Andreas Iten scheut sich auch nicht, seine vielleicht verletzlichste Seite offenzulegen. Eines Tages schlug sein Klassenlehrer vor, dass er doch die zweite Klasse überspringen könne. Seine Eltern waren damit einverstanden, aber der Pfarrer legte sich quer. Also blieb Andreas Iten in der zweiten Klasse. Die dritte Klasse wurde im selben Raum unterrichtet. Als dort ein Schüler an einer Aufgabe scheiterte, rief der Lehrer Andreas auf, weil er meinte, dass er die Lösung kenne. Die kannte er aber nicht. Der Lehrer reagierte darauf mit Verachtung. Dieses Trauma begleitet Andreas Iten bis heute. «Darum bereitete ich mich stets gründlich vor, wenn ich hervorzutreten hatte. Ich wollte eine gute Figur machen, ‘bella figura’, wie die Italiener sagen, und nicht an den Platz zurückgeschickt werden, wie damals als Zweitklässler.»

    Literarisch hat Andreas Iten ein überzeugendes Mittel gefunden, um seine Erlebnisse aus der Kindheit mit den Einsichten seines langen Lebens – er ist jetzt 88 Jahre alt – zu verbinden. Die Episoden aus seiner Kindheit schildert er in der dritten Person. Er blickt quasi von aussen auf das Kind, das er einmal war. Die Interpretationen und Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben, bilden jeweils die zweiten Teile der Kapitel und sind in der ersten Person, also «ich», formuliert.

    Andreas Iten ist mit seinen «psycho-archäologischen Geschichten» ein Buch gelungen, dem auch eine überregionale Verbreitung zu wünschen ist.

     

    Ein Geburtstagsgeschenk von Andreas Iten : Hanspeter Stalder, Filmkritiker 

    erschienen am 27. Februar auf 2025 Seniorweb

    Am 27. Februar, seinem 89. Geburtstag, erscheint sein neues Buch «Lebensacker. Psycho-archäologische Geschichten». Damit blickt Andreas Iten (Titelbild) in seine Kindheit, von dort in die Gegenwart und die Zukunft – und lädt uns ein, dasselbe in unserem Leben zu versuchen.

    Die Leserinnen und Leser des Seniorweb kennen ihn als Kolumnisten, einem weiteren Publikum ist er als Romancier bekannt, etwa mit «Maria schrieb einen Brief», «Der Förster» oder «Prestobello», wieder andere schätzen ihn als Lyriker, zum Beispiel mit dem Bändchen «Barfuss», und nochmals weitere als engagierten Essayisten mit «Weltfrömmigkeit» und «Terrasophie», zwei Werken, mit denen er in die philosophische und ökologische Diskussion ums Überleben des Blauen Planeten und des Humanismus im 21. Jahrhundert fundamental und radikal eingreift.

    «Lebensacker» überrascht uns mit Psychologie und Pädagogik in Form von Geschichten. Iten schildert, was der Bub, der kleine Andreas, in der Kindheit erlebt hat und betrachtet dies aus der Sicht des 88-Jährigen. Der Bub machte Erfahrungen, die sein Leben begleiten und mitgestalten. In seiner frühen Zeit erhielt er Ratschläge, die zu gültigen Sinnsprüchen für sein Leben wurden und auch im Alter noch wirken. Das Buch zeigt unterhaltsam und spannend, wie Eltern und andere Erwachsene die Kinder zwischen Freiheit und Grenzen, beiläufig oder absichtlich, ins Erwachsenenleben führen. Die drei Dutzend Kurzgeschichten verlinkt der Autor mit der Philosophie, der Kunst und den Naturwissenschaften, Bereichen, in denen sich der veritable «Homme de lettres» auskennt.

    Andreas der Bub

    Andreas, der Bub

    In 36 Kapiteln begleiten wir den Knaben, der überraschende Erfahrungen macht, die zu Erkenntnissen und Einsichten führen, mit denen der kleine Andreas zum grossen Andreas wurde. «Zwischen mir als Buben und als Schreibender liegt eine Lebenszeit von achtzig Jahren. Noch immer frage ich, wer ich bin, obwohl ich schon weiss, was hinter mir liegt. Finde ich in den frühen Erlebnissen und Erfahrungen Anhaltspunkt für eine Antwort? Die Vergangenheit ist immer in der Gegenwart und diese für die Zukunft aufgehoben. Was emotional berührend war, ist im Selbst abrufbar. «Man könnte das, was hier versucht wird, als Sozio-Archäologie bezeichnen», heisst es im «Auftakt», womit er andeutet, dass das Buch sich nicht nur um den kleinen Andreas im Hochtal von Unterägeri dreht, sondern um uns alle, um dich und mich.

    Vor dem Elternhaus

    Vor dem Elternhaus

    «Über die Hackordnung»

    In seiner Kolumne vom 23. Januar 2025 illustriert der Autor, exemplarisch, diesen, das Leben des Buben bildenden Prozess an einem der zahllosen frühkindlichen Erlebnisse, mit dem Titel «Über die Hackordnung». Nachfolgend der Anfang des Textes. Bei den andern Kurzgeschichten will ich dem Publikum die Überraschungen nicht vorenthalten, zu schön sind sie, als dass ich sie ausplaudere.

    «Als vier-fünfjähriger Bub sass ich oft am Fenster unserer Wohnstube und schaute stundenlang auf den grossen Hühnerhof, der von einem mächtigen Geflecht umhagt war. Besonders spannend war die Fütterung. Trat Vater durch die Öffnung in den Hof, drehten alle Hühner wie auf Kommando den Kopf. Der Hahn stellte seinen Kamm. Warf Vater die Körner in die Mitte, stürzten die Hühner gackernd zum Futterplatz, der Hahn mischte sich erhobenen Hauptes ein und schubste Hühner weg, die ihm im Weg standen. Ihm taten es die fetten Hühner gleich. Die schmalen, dünnen Hühner und der schmächtige kleine Hahn versuchten, am Rand der Schar Körner zu erwischen. Das war ein Ereignis und es schien, dass ich intuitiv erfasste, was sich da abspielte.

    Als ich später Studien des Forschers Konrad Lorenz las, der das Verhalten der Gänse, aber auch dasjenige der Hühner erforschte, spielte der Begriff Hackordnung eine zentrale Rolle. Sofort meldeten sich die Bilder aus der frühen Kindheit und ich sah, wie die Hühnerschar sich bei der Fütterung verhielt. Dieses Verhalten war also die Hackordnung. Ich konnte den Begriff verallgemeinern und auf ein ähnliches Verhalten von anderen Tieren anwenden und auch bei den Menschen finden.»

     

    Andreas (r) mit seinen Geschwistern

    Andreas (r) mit seinen Geschwistern

    Und so geht es im «Lebensacker» weiter, Kapitel um Kapitel, Entdeckung um Entdeckung, Erkenntnis um Erkenntnis. Wir lesen von den stets interessanten Begegnungen des Buben mit dem Melker, dem Küfer, dem Schnapsbrenner, dem Lehrer, dem Jäger, dem Kellner, dem Zimmermann, dem Viehdoktor, dem Pfarrer, dem Protestanten, der Jüdin – und den andern Männern und Frauen, die im Hause des Buben von unserer Mutter bewirtet, unterhalten, zum Sprechen gebracht, wenn nötig auch wieder gestoppt wurden. Und es folgen Begegnungen mit dem Schmuggler, dem Basler, der Grossmutter, dem Italiener, dem Polizeipräsidenten, dem Schulkameraden, dem Grossvater, dem Tannenzapfenlehrer usw. Die illustre Ansammlung von Menschen formiert sich zu einem kleinen Welttheater der grossen Welt, einem grossen Welttheater des kleinen Buben.

    Andreas Iten

    Happy Birthday

     

    Ich möchte versuchen, die dem Werk zu Grunde liegende Theorie verstehen. Das dem Titel «Lebensacker» nachgeschobene «psychologisch» und «archäologisch» gilt es zu befragen: Der erste Teil zeigt wohl an, dass es um ein wissenschaftliches Durchleuchten des Seelenlebens geht, der zweite, dass dieser Prozess in die Tiefen der Vergangenheit eintaucht. Einen ähnlichen, doch umgekehrten Prozess kennen wir zum Beispiel bei den Traumata der Kriegsopfer. Nicht von der Gegenwart in die Vergangenheit, sondern von der Vergangenheit in die Gegenwart geht es im «Lebensacker»: Von den frühen Erlebnissen wachsen wir, mit Empathie begleitet, ins Heute, ins Morgen, bis ins hohe Alter.

    So bietet uns der in diesem Buch verwendete Ansatz einen Beitrag zur Psychologie und mehr noch der Pädagogik: wertvoll für Erzieherinnen und Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Menschen, die in der Musik-, Theater- oder Kunstpädagogik tätig sind. Damit wird für mich auch klar, was Andreas Iten uns an seinem 89. Geburtstag schenkt: die Einladung zu einem Umdenken, «nun am Lebensende» eine herausfordernde, aber auch bereichernde Metanoia.